Über die Malerdynastie der Familie Tischbein, deren Stammeltern vor 300 Jahren im Kloster Haina lebten, hat die Kunsthistorikerin Prof. Dr. Martina Sitt neue Erkenntnisse gewonnen. Zusammen mit Studierenden der Kunsthochschule Kassel eröffnet sie am kommenden Sonntag, dem 9. April, um 14:00 Uhr mit einem Vortrag in der Winterkirche des Klosters Haina eine Ausstellung, die eine neue Sicht auf den bekanntesten der rund zwei Dutzend Maler und Malerinnen, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829), erlaubt. Er wurde berühmt durch sein Porträt von Johann Wolfgang Goethe, das im Jahr 1786 in Rom entstand und heute im Frankfurter Städel-Museum hängt. Das Bild zeigt den Dichter mit großem Hut und weißem Mantel, auf antiken Ruinen lagernd, vor dem Hintergrund der römischen Campagna. Prof. Dr. Martina Sitt, die an der Kunsthochschule Kassel den Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte innehat, verbrachte im vorigen Jahr mehrere Monate in Rom und arbeitete dort unter anderem in der Casa Goethe. Diese Einrichtung im Zentrum der Stadt befindet sich in den Räumen jener Wohnung, in der Goethe, Tischbein und eine Reihe weiterer junger deutscher Künstler in der Zeit um 1780-90 wohnten. „Tischbeins römisches Leben war geprägt von erfüllten, aber auch unerfüllten Hoffnungen“, sagt die Kunsthistorikerin. „Zwar konnte er Beziehungen zu wichtigen Zeitgenossen aufbauen, aber seine Gemälde erzielten nicht die gewünschte öffentliche Aufmerksamkeit. Auch sein Erstlingswerk ‚Konradin von Schwaben‘ blieb unter Verschluss in einem Privatzimmer des Herzogs von Gotha.“ In Tischbeins Memoiren, die Sitt aus der ursprünglichen Textvorlage neu erschlossen hat, wird der Künstler nach den Worten der Forscherin als ein guter Beobachter und Beschreiber erkennbar. Er kommentierte die in Rom zu sehenden Werke der Antike und der Renaissance sowie die Malweise von Künstlern seiner Zeit. „Die Erfahrungen, die der durchaus belesene Tischbein sammelte, vermitteln einen ganz eigenen Blick auf die römische Periode des Malers, der schließlich in Neapel seine Berufung als Direktor der dortigen Accademia di Belle Arti fand“, sagt Prof. Dr. Sitt. „Um die Memoiren selbst galt es zunächst noch einige Rätsel zu lösen, welche die Ausstellung anschaulich vermittelt.“ Die geplante Präsentation wurde unter Leitung von Martina Sitt von einem Team des Studiengangs Kunstwissenschaft an der Universität Kassel aufgebaut und wird vom Verein der Freunde des Klosters Haina materiell und finanziell unterstützt. Zu der Studiengruppe gehören Lisa Beutler, Alina Hanske, Julia Werner und Julia Krause. „Wir schätzen uns glücklich und sind von Herzen dankbar, dass Frau Prof. Dr. Sitt und ihre Studentinnen nun schon im dritten Jahr so viele neue und interessante Aspekte aus dem Leben und Wirken der Tischbein-Sippe im Kloster Haina präsentieren“, erklärte dazu der Vorstand der Freunde des Klosters Haina e.V. „Wir sind sicher, dass die Resonanz bei den Besuchern ebenso gut sein wird wie in den vergangenen Jahren.“ 2016 hatten die Kasseler Kunsthistorikerinnen große öffentliche Aufmerksamkeit erregt, als sie erstmals den Fokus auf die weiblichen Mitglieder der Familie Tischbein gerichtet hatten. Diese standen als Malerinnen seit dem 19. Jahrhundert im Schatten ihrer berühmteren Väter, Brüder und Cousins, obwohl sie zu Lebzeiten ebenfalls als Künstlerinnen öffentlich anerkannt waren.